02 Sep Et tu, Winnetou? Ein Brief an meine alten, weißen Freunde
Auf dem Balkon sitzen und durch Facebook scrollen – das fühlt sich inzwischen an, wie eine Spritztour durch die Stadt, in der man aufgewachsen ist. Und die sich sehr verändert hat. Die Eltern wohnen noch da, man selbst ist inzwischen aber längst nach Instagramburg oder Twittin gezogen, weil man es einfach nicht mehr ausgehalten hat.
Aber ab und an ist man ja nochmal gern da. Ein paar Freunde sind standhaft dort geblieben, um den Ort gegen die Irrelevanz zu verteidigen. Außerdem – gab es doch auch gute Zeiten. Vielleicht fährt man manchmal auch ein bisschen hin, um sich mal anzusehen, wie scheiße alles doch geworden ist. Auch mir sind diese masochistischen Episoden nicht neu.
WAS hingegen neu ist – ist der Umstand, dass auch die eigenen Bekannten Teil des Verfalls sind. Ich beobachte voller Bestürzung, dass immer mehr meiner etwas älteren Bekannten sich zu waschechten alten, weißen Männern mausern. Und ich rede jetzt nicht von Onkel Rolf, der beim Schrebbbergartenfest (nur echt mit den drei ‚b‘) schon immer seine rassistischen Kackwitze gerissen hat, wenns n bisschen später wurde, nein, ich rede von Leuten, die ich wirklich schätze.
Berufsbedingt sind das häufig Comedians und Kabarettisten, generell Künstler also, denen ich bislang eine eher überdurchschnittliche Vertrautheit mit aktuellen Diskursen unterstellt habe – weil´s halt ihr fucking Job ist. Aber selbst diese Menschen schnaufen und raunen und warnen selbstgefällig mit, wenn es mal wieder um die böse cancel culture geht, springen ach-so-humoristisch den armen Karl-May-for-Kids-Neuerscheinungen bei, die ja verboten werden sollen, so hört man doch überall. Bald werden bestimmt wieder DVDs verbrannt.
Ist schon richtig, man steht ja quasi mit einem Bein in der Diktatur, sobald einen jemand darauf hinweist, dass etwas heute vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß ist.
Was ist da passiert? Wann wurde „Kritik an“ zu „Verbot durch“, liebe Boomermedians?
Ihr wart doch immer „die Guten™“. Und vielleicht ist genau das das Problem.
Ich muss das kurz erklären. Denn ich meine das komplett aufrichtig. Ihr habt damals die progressiven Kämpfe gegen die Konservativen geführt, ihr habt Wertesysteme hinterfragt und durchgerüttelt. Und in diesem Zug habt ihr definiert, was „gut“ und „böse“ ist.
Und was ihr nicht explizit scheiße fandet – durfte halt bleiben, war also irgendwie Kanon des „guten“.
Und wenn dann jetzt etwas „Gutes“ verschwinden soll – dann muss es ja ein Verbot sein, denn weshalb sonst, WIE sonst, sollte etwas „Gutes“ verschwinden können? Und etwas „GUTES“ verbieten – das tun nur die „BÖSEN“.
Eigentlich ´ne ganz bestechende Logik. Die allerdings darauf fußt, dass die Welt sich in unterkomplexe Seiten wie GUT und BÖSE einteilen lässt. Lässt sie sich natürlich nicht. Tatsache ist einfach, dass euer Weltbild schlicht nicht Schritt gehalten hat mit der Realität. Was früher gut war ist heute vielleicht nicht mehr gut genug. Oder gar „böse“, um dieses eindimensionale Wort nochmal zu bemühen, und sei es nur, um der Einfachheit halber in dieser binären Sichtweise zu bleiben.
Früher war alles einfacher. Weil es weniger Stimmen gab, die einen Diskurs gestalteten. Eigentlich gab es nur eure.
Eure Fühls – waren die Facts.
Und EUREM Empfinden nach war z.B. Blackfacing nicht schlimm. Weils nicht so gemeint war. Bisschen als Witz. Das haben damals auch alle so verstanden. Die junge Generation heute ist da auf einmal empfindlich geworden.
Fun Fact: ist sie nicht. Das war damals schon scheiße. Genau wie Winnetou. Nur hatten diejenigen, die uns das damals schon hätten sagen und erklären können – einfach keine Teilnahmeberechtigung am Diskurs. Und genau DAS hat sich jetzt eben geändert. Das Einzige, was sich nicht geändert hat – seid ihr. Weshalb sich jetzt für euch alles nach Verbot anfühlt.
Aber warum ist das so?
Rhetorische Frage, ich hab da ´ne Theorie. Und die beginnt, weils pfiffig ist, mit einem ganz dollen Kompliment in eure Richtung:
Ihr habt euren Job richtig gut gemacht, damals. So gut, dass ihr überall produktiv und informiert mitreden konntet. Ihr konntet Gags auf Höhe der Zeit bauen, topaktuell, scharf, vielleicht sogar weltverändernd. Dem Establishment den Spiegel vorhalten. Richtig gut. Aber:
Wenn man ganz oben steht in der Deutungshoheit – ist es leicht, jede neue Entwicklung und Stimme als unwichtig, als kurze Modeerscheinung abzutun. Man hat die Welt ja verstanden, durchdrungen. Es gibt nichts mehr zu lernen. Und die ersten zwei, drei, meinetwegen vielleicht sogar fünf Jahre mag das ja durchaus stimmen, oder sich zumindest so anfühlen. Aber irgendwann stimmen die eigenen Annahmen über die Welt eben einfach nicht mehr, wenn man sie nicht regelmäßig überprüft und anpasst. Weil…Welt ändert sich halt. Isso.
Wenn man diese Entwicklung aber 20 Jahre konsequent ignoriert und als irrelevant abtut – kommt am Ende sowas wie Dieter Nuhr dabei raus. Diskurse über Rassismus und Klimawandel als haben-wir-keine-größeren-Probleme Geschwätz der „jungen Leute™“ framen, während man gleichzeitig Witze macht über Menschen, die immer noch Faxgeräte benutzen. Dazu bedarf es schon eines recht speziellen Mindsets, wenn ich das mal vorsichtig formulieren soll.
Alles ´n bisschen komplexer heute
Aber zum Glück hat sich auch die Fehlerkultur gewandelt. Man kann ohne Probleme sagen, dass man sich geirrt oder Unsinn erzählt hat. Überhaupt kein Ding. Weil alles ambivalenter geworden ist. Differenzierter. Auch unser Verständnis von Rassismus, zum Beispiel. Der endet eben nicht mehr bei „Ausländer raus!“
Du kannst überzeugter Antirassist sein – und trotzdem rassistische Dinge tun und sagen.
Und du kannst überzeugter Antirassist bleiben – wenn du einfach anerkennst, dass du gerade etwas rassistisches gesagt oder getan hast, wenn dich jemand drauf hinweist.
Kacke. Hab ich nicht gewusst. Sorry.
Das geht auch, wenn man Talking Points der neurechten Bewegung übernimmt und ein bisschen uninformiert über ein vermeintliches Verbot von Winnetou daherwitzelt.
Da kann man einfach sagen: oh, krass, wusste ich nicht. Aber mit denen will ich mich wirklich nicht gemein machen.
Man muss also nicht mehr, wenn einen jemand darauf hinweist, in den jetzt-erst-recht-ich-lasse-mir-den-Mund-nicht-verbieten Modus wechseln und drei Tage richtig kecke Witze über das vermeintliche Verbot des N-Wortes machen um zu beweisen, wie wahnsinnig unverkrampft und okay das doch alles ist. Wirklich. Muss man nicht. Man kann auch einfach sagen: ach, kacke, hab ich nicht gewusst. Sorry. Geht alles heutzutage.
Man kann sogar sagen: krass, früher haben wir das voll gerne gesehen/gesagt/gesungen/gelesen – ohne, dass einen das zu einem schlechten Menschen macht. Niemand will dir deine Kindheit nehmen oder dich dafür verurteilen.
Es geht einfach darum, was wir AB JETZT unseren Kindern anbieten.
Ab jetzt einfach anders machen – reicht. Ein bisschen Empathie – reicht. Im Jetzt ankommen – und allen ein bisschen zuhören – reicht.
Is eigentlich ganz einfach.
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