Früher war hier alles Punk

Ich schreibe diesen Text direkt nachdem ich aufgewacht bin.

Immerhin. Immerhin aufgewacht, denkt ein kleiner Teil in mir. Denn die letzte Nacht habe ich quasi exklusiv damit verbracht, mir meiner eigenen Vergänglichkeit ganz extrem bewusst zu sein.

Alles ist so lange her.

Plötzlich ist alles lange her. Studieren, Herz gebrochen bekommen, jemand stirbt, man stolpert, ist dann voller Tatendrang und jung und selbstausbeuterisch, taumelt unwissend aufs Parkett der Post-Adoleszenz, schreibt manisch jede zweite Nacht einen neuen Text auf jedes Stück Papier, welches sich findet, die ungefilterte Wucht einer hungrigen Existenz.

Und dann ist plötzlich zwanzig Jahre später.

Keine Ahnung, wo das alles hin ist. Wo die Zeit hin ist, oder dieser Körper von damals, der Geist, der darin wütete. Wo die Neugierde hin ist und die Leichtigkeit, vor allem die verfickte Leichtigkeit. Es wird früher dunkel. Winterzeit in mir. Ich hasse das. Zeitumstellung hat mich immer schon aus der Bahn geworfen, und jetzt so langsam werden wirklich auch in mir selbst die Uhren umgestellt. Und I don´t like it. Not one bisschen.

Plötzlich alles schwer. Jeder Rausch kostet mehr als früher. Inflation am Ich.

Mir fällt keine Metapher für die Zeit ein, wie sie mir da durch die Finger rauscht, die nicht so abgegriffen und routiniert klingt wie ich mich fühle. Routiniert. Das trifft es. Ich kenne mich, vielleicht ZU gut. Ich weiß, was ich mag und will, was meine Knöpfe drückt und mich hochfahren lässt, was mich beruhigt und müde macht.

Wie langweilig. Das Gefühl, sich selbst in- und auswendig zu kennen.

Das Innenleben – ein gut ausgeleuchteter Parkplatz im April.

Früher war hier alles Punk. Inzwischen hat irgendwer Parkett verlegt. Bitte zieht die Schuhe aus. Kann das so weiter gehen? Wie hört man auf, alles gefunden zu haben, ohne destruktiv zu sein? Ich will nicht zerstören, nur neu erleben was schon steht. Was ich in über vierzig Jahren mit so viel Hilfe aufgebaut habe.

Ich weiß nicht, wie das geht. Aber langsam verstehe ich Männer, die sich ein Motorrad kaufen. Aber dafür war hier früher wirklich alles ´n bisschen zu sehr Punk. Aber so´n solides Trekking-Rad – das wäre durchaus drin. Einen Fahrradhelm besitze ich bereits länger, als ich willens bin, öffentlich zuzugeben.

Ein paar Widersprüche sind zum Glück noch da

Ich kann mich zum Beispiel ganz aufrichtig über „diese Musik der jungen Leute“ wundern – während mein Fuß völlig unironisch bei „Cotton Eye Joe“ im Takt wippt. Das ist doch schon was. Da ist noch nicht alles geklärt, und es fühlt sich phantastisch an. Diese Reibung. Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren. Vielleicht habe ich doch noch ein paar Paradoxien in mir, ein paar Dinge, die ich wirklich noch rausfinden muss in meiner Lebenszeit. Sie sind vielleicht nicht mehr so groß und essentiell wie früher – wer bin ich, wie liebe ich – und wen? – aber…nee, kein aber. Ist einfach so. Ich würde dem Altern gern um jeden Preis einen positiven, vielleicht sogar überlegenen Aspekt abringen – das ist der klischeegesteuerte Schriftsteller in mir. Alles muss am Ende dann doch viel besser sein, und die Schwäche eigentlich eine Stärke, die Titanic hat das alles nur geträumt und der wahre Schatz ist natürlich IMMER die Freundschaft, die aber natürlich IMMER schon von Anfang an da war, man musste nur erst nach Hause kommen, um zu erkennen, dass „woanders“ woanders ist – es ist so langweilig.

Also, taking the L

Widersprüche – nicht so groß wie früher, aber zum Glück immer noch da. Man nimmt, was man kriegt. Und, um fair zu sein – hat man ja auch schon ne ganze Menge bekommen. Wenn die großen Probleme aus dem Weg sind – ist ja vielleicht auch Platz für feinere Fragestellungen.

Wie man sich zum Beispiel mit 42 Jahren immer noch jung und verrückt – aber eben auch gleichzeitig ein bisschen alt fühlen kann.

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