On/Off
Science Fiction, 2023
Science Fiction, 2023
Ausschalten. Einschalten.
Ausschalten. Aushalten. Nicht sprechen, nicht bewegen. Aushalten.
Diese völlige, absolute Stille trinkt sich wie Schwarzbrand mit über 70%. Mein Herzschlag strauchelt. Die Finger schwerelos an diesen Kippschalter geklammert, rechts oben, zweite Konsole, fünfter Slot. Man wird wahnsinnig, hier draußen. Vergisst, dass man lebt, wenn man sich nicht regelmäßig selbst daran erinnert.
Herzschlag: rast.
Die Finger noch immer schwerelos, zweite Konsole, fünfter Slot. Life-Support.
Einschalten. Warten.
Selbst die Unendlichkeit des Raums da draußen relativiert sich, denkt man an diese 2,84 Sekunden, die es braucht, bevor die Aufbereiter wieder laufen und frische Luft durch jede Ader dieser Mühle pressen werden. Ich halte den Atem an, und es dauert 2,25 unendliche Sekunden, bevor das Plasma zündet und mein Schiff endlich wieder Puls hat. Die Luft schießt abgestanden zurück in ihren endlosen Kreislauf, ich lasse mich entspannt in den Kommandostuhl sinken und schließe die Augen. Meine Lippen kribbeln. Das ist der Moment. Dem Leben zuhören.
Irgendwo unter mir im Zwischendeck atmen die Varé-Batterien ihr beruhigendes Summen in die künstliche Atmosphäre. Es ist kein Problem, wenn dein Schiff ´n paar Geräusche zu viel macht. Haarig wird´s eher, wenn die Geräusche aufhören. Alles ist gut hier draußen, so lange es nicht still wird. Manchmal wünschte ich, das All an mir vorbeiziehen sehen zu können. Aber selbst bei 60sd/o dauert es Tage, auch nur die kleinste Veränderung zwischen den Sternen zu erkennen. Alles hier draußen ist so groß und schnell und weit, dass es unmöglich ist, beim Blick darauf nicht den Verstand zu verlieren.
Vielleicht spiele ich deshalb Roulette mit meiner Lebenserhaltung. Gegen dieses überbordende Gefühl des Kontrollverlusts, wenn man raus schaut auf diese unendliche Leere.
Oder mir ist halt einfach langweilig, weil sich diese verschissene Mühle jetzt seit 17 Tagen mit 1,4 Systemdistanzen pro Orbitaljahr durch das Nichts schleppt. Wer auch immer die Feldlinien im Beschleuniger so übel verkalibriert hat, dass mir nach 2 Stunden Volllast das komplette System abrauscht gehört direkt in die nächste Sonne geworfen. Wenn man sie denn erreichen würde. Den Lieferzeit-Bonus werde ich mir haken können. Immerhin macht der Beschleuniger noch Geräusche. Das ist gut. Auch wenn´s nicht die richtigen sind.
Fast schon gelangweilt tickert mir der Kern die immergleichen Readouts auf das System-Display. Alles stabil im gelben Bereich. Bis auf den Beschleuniger. Sauerstofffilter vielleicht eher orange. Aber dafür ist das Intercom komplett grün. Manchmal habe ich das Gefühl, dass dieses Schiff einen Sinn für Ironie entwickelt hat. Anders kann ich mir sowas nicht erklären.
Trotzdem: auch tief orange ist eigentlich noch okay, so lange ich alleine bin. Da braucht der Kern gar nicht so nervös alle zehn Minuten so ein passiv-aggressives Ausrufezeichen hinterherschicken.
Heul doch!
Grün, Gelb und Orange, Prozentangaben - das sind allerhöchstens Vorschläge, hier draußen. Die verzweifelte Illusion von Kontrolle. Aber das Nichts hat kein Konzept von Nuancen.
Es reduziert jeden Aspekt des Daseins auf seinen Binärzustand: Ja oder nein.
Entweder du atmest - oder eben nicht.
Das ist schon fast erfrischend in seiner Einfachheit. Ich mag das.
Der kühle Hydraulikarm einer Bergungsdrohne stupst mich zaghaft aus den Gedanken und deutet vorwurfsvoll auf die hektisch flackernden Warnleuchten meiner Luftfilter. Ich verdrehe die Augen.
»Hasse wieder gepetzt?« raune ich genervt in Richtung System-Display, während ich mich mühselig aus dem Kommandostuhl schäle. Der Kern lässt ein unschuldig zwinkerndes Fragezeichen über die Bildschirme rauschen.
»Schon klar«, sage ich.
Die Bergungsdrohne kramt ein paar Sekunden betont geräuschvoll im Stauraum des Zwischendecks herum und zieht triumphierend meinen Werkzeuggürtel hervor.
»Nächstes mal gehst du«, murmle ich resigniert, während der surrende Arm mir feierlich den Gürtel auf die Schulter fallen lässt.
Im Hintergrund kann ich die Atmo-Pumpe ungeduldig rasseln hören, die Spulen im Beschleuniger knistern verärgert während sie das Plasma bändigen. Ich atme geräuschvoll ein.
Draußen - ist es still.
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